Hat sich der Plätzlesfußball in 25 Jahren verändert?

Am 9. Juni 1996 um 12 Uhr endete in Blaubeuren der allererste 24-Stunden-Kick. Man spielte fünf gegen fünf und hoffte, dass tatsächlich stets fünf in der eigenen Mannschaft anwesend waren. Sechs Stunden später startete die deutsche Nationalmannschaft im Old Trafford zu Manchester mit dem Libero (!) Matthias Sammer in die Europameisterschaft, an deren Ende sie als Sieger aus ihr hervorgehen sollte. Einen WM-Titel und 24 24-Stunden-Kicks später beginnt im Juli 2023 der 25. dieser Kicks, und die Nationalmannschaft weiß nach einer verkorksten EM, einer verkorksten Nations League und verkorksten Freundschaftsspielen nicht mehr, wo sie hingehört. Man ruft nach „deutschen Tugenden“ und wähnt eine Ansammlung an „Schönwetterkickern“ in den weiß-schwarzen Trikots.

Andererseits gewann ein gewisser Pep Guardiola, der Erfinder der „falschen Neun“ gerade (mit Unmengen viel Geld und) viel Taktik-Trara die Champions League. Der große Fußball da draußen hat sich also in den vergangen 25 Jahren offenbar stark verändert. Wir wollen also der Frage nachgehen: Hat sich der Plätzlesfußball des 24-Stunden-Kicks eigentlich auch verändert? Ein Viertel Jahrhundert ist ja doch eine geraume Zeit. Als Zeugen für unsere Untersuchung möchten wir die Spieler:innen von damals wie heute (genau genommen natürlich die Spielerinnen und Spieler von damals und die Spieler:innen von heute) zu Wort kommen lassen. Wir finden aus den ersten Jahren des Kicks zahlreiche Belege für geradezu überbordende deutsche Tugenden, wenn etwa Max Klaus 1997 zu Protokoll gibt: „Die Garde stirbt. Aber sie ergibt sich nicht.“ Hartwig Lehle erkannte im selben Jahr ebenfalls: „Sport ist schon ein bisschen Mord.“ Und Anke Leonhardt brachte im Jahr 2000 die Idee der Aktion auf die treffende Schlagzeile: „20 Tote für einen guten Zweck.“ Klingt schon nach dem Blut-Schweiß-und-Tränen-Fußball der 1996er-Europameister.

Andererseits ist man erstaunt, wie sehr schon damals auf eine durchdachte Ernährung zur Leistungs-Optimierung geachtet wurde (Johannes Emmerling 1996: „Cola saufen, weiterlaufen“), und wir groß die Egos einzelner Stars doch auch schon waren (Igor Kucinski 1996: „Ich spiele durch“). Dass im Fußball auch noch irgendetwas anderes wichtig sein könnte, deutete lediglich Antje Rauer 1996 an: „Fußball-
spielen macht mir einfach Spaß.“ Und wie sieht das nun also heute aus? Tatsächlich scheinen die jungen Leute heute (durchliefen sie etwa alle bereits eines dieser berühmten Internate?) sehr viel besser taktisch geschult (Simon Brus: „Präzise Pässe, im Ballbesitz bleiben und die Gegner laufen lassen.“), perfekt vorbereitet (Lukas Körner: „Joggen, viel Kicken!“) und überaus motiviert zu sein (Helen Bohnacker: Kampfname „Motivationsmonster“). Diana Ehret empfiehlt gar „Treppenläufe“ zur Vorbereitung! Wächst da etwa eine Generation heran, die Plätzlesfußball planvoll professionalisiert? Nun, das Besondere am Kick ist ja, dass die Alten deshalb nicht einfach weg sind, nur weil ein paar Junge nachdrängen. Deren Eifer wird also ebenso planvoll gebremst (Finn Walter: Taktik? Scheißegal, Hauptsache viele Tore!“) bis torpediert (Florian Winter: „Ruhig Blut! Gute Laune! Verlorenen Bällen nicht unnötig hinterherlaufen!“). So gibt es auch immer noch Verfechter eher klassischer taktischer Weltanschauungen, wenn Sebastian Stumm (Kampfname „Mr. Boombasti“) als Taktik ausruft: „1:0 in Führung gehen und dann hinten dicht machen!“ So weit, so gut. Allerdings gibt Max Mattheis mit seinem Vorbereitungstip („Samstagabend fud!“) dann schon Rätsel auf. Schimmert da nicht eine Spur Ich-bin-mal-eben-in-Paris-Gnabry durch, oder erinnert es nicht doch genauso an die Eskapaden früherer Stars? Wir streichen die Segel! Die Frage ist nicht seriös zu beantworten, ob sich der Fußball und die Fußballer*innen verändert haben. Irgendwie bleibt alles anders. Irgendwie bleibt alles gleich. So antwortete der Verfasser dieser Zeilen auf die Frage nach dem wichtigsten Utensil für den Kick: „Das Sportfluid, das seit 1996 in meiner Tasche ist.“ Was ist schon ein Viertel Jahrhundert?
Albrecht Reuß (25. Kick-Teilnahme)

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